DON´T TOUCH ME
Es ist bekannt, dass ein mit einem Schraubenzieher bewaffnetes Kind, den Notebook seiner Eltern nicht wegen Zerstörungslust auseinander baut, sondern aus purer Neugier und Wissensdurst, ähnlich wie die damaligen Heiler, ein menschliches Herz auseinander nahmen auf der Suche nach der Seele. Zerfall und Untergang sind nicht weniger interessante Prozesse als Geburt und Schaffung. In der Weltliteratur und in historischen Texten wurde genug Aufmerksamkeit den Niedergängen von Gesellschaften, Zivilisationen und Kulturen geschenkt. Auch der Verfall einer Persönlichkeit, Selbstzerstörung, scheint für viele ein sehr faszinierender Vorgang zu sein.
Im Grunde des Projektes "Don ́t touch me" liegt die Visualisierung der Zerstörung der menschlichen Bindungen, die, wie jeder destruktive Prozess, aus mehreren Stadien besteht. Längere Zeit haben wir uns auf die Verhältnisse zwischen dem Künstler und dem Publikum fokussiert, um die Grenzen im Hinblick auf die Sensibilität des Künstlers auszuloten und sichtbar zu machen. Hierzu werden verschiedene Fragen formuliert, die nun im Ausstellungsraum visualisiert werden, so zum Beispiel: „Inwieweit kann man den Künstler berühren? Wie reagiert der Künstler auf Kritik und wer ist überhaupt berechtigt, diese auszuüben? Welche Bedeutung hat die Meinung von Unbekannten für den Künstler? Welche Bedeutung hat das persönliche Kennenlernen des Künstlers usw."
Dunkle Seiten des menschlichen Daseins sind schon längst jenseits der Theorie über "Genie und Bösewicht" vernichten, aber immer wieder der Glaube an Homo Faber als Homo Sapiens: an den zuverlässigen, vernünftigen Menschen; einer moralischen Autorität, die uns in schwierigen Zeiten den Rücken stärkt.
Wenn du nichts berührst, verlierst du das Gleichgewicht, deswegen stellt die emotional erschütterte Gesellschaft existenzielle Fragen: gibt's einen Unterschied zwischen dem Kunstwerk und der Persönlichkeit des Künstlers? Wo liegt diese Grenze? Wie kann man die Verallgemeinerung über die Verderbtheit der Kunst a priori vermeiden? Wir haben die Fähigkeit der verbalen Unterhaltung verloren, wir verlernten die künstlerische, politische und kritische Sprache. Es entstand eine gewisse Atrophie des Geistes: Wörter verloren ihren ursprünglichen Sinn. Wir verstehen nicht mehr, wo rechts und links ist, wie man mit wem spricht, um niemanden anzugreifen und die Grenze des Gegenübers nicht zu überschreiten. Gewöhnt an die Selbstisolation flüstern wir uns öfter zu: "Fass mich nicht an", "Das geht mich nichts an", "Zum Teufel mit euch allen", als zu versuchen aus der Schale rauszukommen und sich wieder an die menschliche Sprache zu erinnern. Wir sind wie Figuren auf dem Schachbrett, die sich nach fremden Regeln bewegen, ohne sich zu berühren und ohne die Möglichkeit zu haben, das Brett zu verlassen.
Künstlerhaus Bethanien, 2015/ LUDWIG Museum Budapest, 2016